Christentum

Die hier versammelten Artikel widmen sich den verschiedensten Phänomene des endzeitlichen (und gleichzeitig so endzeitvergessenen) Christentums unserer Tage. Anlassgebend sind dabei oft aktuelle Ereignisse und Entwicklungen, wobei eine alephologische Betrachtung nicht stattfindet.

Den Anfang macht ein älterer Aufsatz (ganz unten zu finden!), den der Autor (Florian Dreveskracht) bereits im Jahr 2015 als Denkschrift anlässlich des 500-jährigen Reformationsjubiläums (2017) verfasst hat und der damit zeitlich-thematisch sogleich etwas aus der Reihe tanzt. Es folgt dann eine brandaktuelle Artikel-Reihe "Einblicke in das Nachchristentum", verfasst im August 2022, zu finden auch im Novus Ordo Magazin. Diese Reihe soll alsbald fortgesetzt werden.

Wie bei diesem Thema wohl nicht anders zu erwarten, gilt für alle Artikel uneingeschränkt der juvenalsche Ausspruch: Difficile est satiram non scribere. (Es ist schwer, keine Satire zu schreiben.)

Die Visitation – Einblicke in das Nachchristentum Teil 4 (Eine Satire)

Guten Tag,

als vorsitzender Bischof der synodal-katholischen Kirche von Deutschland und Laodizea grüße ich Sie alle recht herzlich!

Stürmische Zeiten sind über unsere Welt hereingebrochen. Nie dagewesene Krisen erschüttern uns und unseren Planeten. Die Gesellschaft hat sich in unvorstellbarem Maße verändert, das Leben der Menschen hat sich verändert, und auch die Art und Weise, wie wir dieses Leben in seiner ganzen Vielfalt und Buntheit verstehen.

Ich weiß, dass sich viele von Ihnen zurzeit große Sorgen über die Entwicklung unserer Kirche machen. Sie wünschen sich eine Kirche, die verständnisvoll und solidarisch an der Seite der Gesellschaft steht, die nicht länger ihre Augen verschließt vor den schockierenden Dingen, die in ihren eigenen Reihen geschehen sind, eine Kirche, die mit Entschlossenheit neue Wege geht und mit Mut Altes hinter sich lässt.

Wir wissen, die Kirche hat viel versaut in der Geschichte. Sie hat euch gesagt, was ihr zu glauben habt. Und allzu oft hat sie die Macht dabei über die Liebe gestellt. – Wir wollen es besser machen! Und wir schaffen das, liebe Mitchrist*innen, davon bin ich ganz fest überzeugt. Es geht um das, was wirklich wichtig ist: Es geht um Unsere Werte! Ich wünsche mir eine zeitgemäße Kirche, die tolerant, weltoffen und bunt ist. Wir wollen die Probleme unserer Zeit gemeinschaftlich und solidarisch angehen, wir wollen eine Kirche sein, die ihren Beitrag zum Erhalt unseres Planeten und unserer Freiheit leistet. Und dazu gehören keine Glaubenssätze, die von oben diktiert werden, sondern ganz einfache Dinge der Hygiene und des achtsamen Miteinanders:

Welche Wörter man sagen sollte und welche Wörter dagegen andere Menschen verletzen, wie man Personen diversen Geschlechts anreden sollte und überhaupt, wie viele Geschlechter man anreden sollte, um niemanden auszugrenzen, was man bedenkenlos essen kann, und was nicht, wie viel man von welcher Art von Lebensmittel essen, welche Produkte man kaufen und welche man besser meiden sollte, mit wie vielen Personen man sich treffen kann, oder ob man sich überhaupt treffen sollte, wie man sich begrüßt, ob man sich die Hand gibt, wohin man sich in seiner Kirche setzen kann, wie und auf welchem Weg man zu seiner Kirchenbank und zu dem jeweiligen Platz gelangen kann, ob man in der Messe gemeinschaftlich Lieder singen sollte und wenn ja, wie viele Strophen; wie viel Abstand zu seinem Gegenüber man hält und welche Schutzbekleidung bei welchem Abstand, welcher Gesangslautstärke und welcher Anzahl von Strophen angeraten ist, wie oft und wann man sich die Hände waschen sollte und womit, wie man sich duscht, und ob man sich duscht, womit man heizt, welches Verkehrsmittel man benutzt, welches Auto man kauft, wohin man in den Urlaub fahren kann, und wo es zu gefährlich ist, welche Feiern man feiern sollte, und ob Feste wie Silvester, Ostern und Weihnachten noch zeitgemäß und vor allem hygienisch unbedenklich sind, welche Veranstaltungen man besuchen sollte, für welche Anliegen man immer und ohne jedes schlechte Gewissen demonstrieren kann und welche Personen und Gruppen man auf jeden Fall meiden sollte, welche Politiker*innen vertrauenswürdig sind, welche Staatschef*innen unsere volle Unterstützung verdienen und welche man aus ganzem Herzen hassen sollte, welche Fahne man ohne Unterlass schwingen und welche man verbrennen, welche Partei man wählen und welche verachten sollte, was Nachrichten sind und was nicht, wer hier die Expert*innen sind und wer nicht, wer hier tolerant ist und wer nicht!

Liebe Mitchrist*innen, aus so vielen Gesprächen in den Gemeinden weiß ich, dass die aller-aller-meisten von Ihnen das vollste Verständnis für diese notwendigen Selbstverständlichkeiten aufbringen und ich bin aus tiefstem Glauben überzeugt, dass wir als Kirche auch in Zukunft einmütig, geschlossen und entschlossen im Kampf gegen alle Bedrohungen unseres Planeten und gegen jede Form von Hass und Intoleranz stehen werden, für eine offene und tolerante Gesellschaft, in der wir alle in Freiheit, Vielfalt und Frieden leben können. Stand with Ukraine!

In diesem Sinne,

diverse Grüße und

One Love!

Ihr, Euer

Hans Hohn

Vorsitzender Bischof der Synodalen was-auch-immer


Irlmaier & Irrmeier – Einblicke in das Nachchristentum Teil 3

Es war ein sonderbares Erleben, ein ungläubiges Augenreiben, wenn man auf die Statistik der Kunden-Suchbegriffe auf der Verkaufsplattform Amazon blickte, an jenem 24. Februar, dem Tag des Angriffs russischer Streitkräfte auf die Ukraine. Standen da mit den Keywords ‚Irlmaier’, ‚Mühlhiasl’, ‚Nostradamus’ plötzlich Namen ganz oben, von denen man geglaubt hatte, dass sie dem Tagesthemen-gebildeten deutschen Normalverbraucher doch nicht einmal bekannt seien dürften, geschweige denn, dass er sie buchstabieren könne. Alles Wundern, auch der nächsten Tage, half nichts. Zusammen mit einem weiteren Schlüsselwort, ‚Dritter Weltkrieg’, sollten sich die drei sogar noch für die ganze darauf folgende Woche in der Top-Liste halten. Eine regelmäßige Kontrolle des Bildungsportals Wikipedia bestätigte nur das Bild, genauso die Google-Suche, in der noch für Wochen neue Artikel, und immer desselben Inhalts, über den „Propheten des Dritten Weltkriegs“, Alois Irlmaier, erschienen, und das in all den „namhaften“ Blättern, die bisher gar nicht im Verdacht der Gegenaufklärung standen. – Regt sich sogleich ein anderer Verdacht: der des Geschäftemachens mit der Sensationslust und dem Prickel der Angst. Überrascht es da, wenn pünktlich zur Krise aus den Weiten des Internets verlorengegangene Wahrsagungen auftauchen, vom großen Giftangriff aus der Luft, vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee? (– Donner und Doria! Die Ukraine!). Oder dass Bücher über „sichere Zufluchtsorte“ für das bevorstehende atomare Inferno (und das sicher zu sehr fairen Preisen) für alles acht-Jahr-geschulte Volk feilgeboten werden? Man sieht sie in Gedanken vor sich, die cleveren „Vorauswisser“, während sie sich an ihren sicheren Orten in den Schlafsack gehüllt, am Weltbrand wärmen, mit der Hand auf den Buchdeckel klopfend.

Ohne Prophetie verwildert das Volk, wie der Prediger sagt – und mit manchmal auch...

Alois Irlmaier, Ostfront-Veteran des Ersten Weltkriegs, hatte furchtbare Angst vor den Russen. Wenn er seine seherische Begabung nicht gerade anderweitig nutzte, nach dem Kriege 45, dann „sah“ er seine Landsleute schon wieder in Stiefeln marschieren, wie damalige Bekannte zu berichten wussten. Ob die „präkognizierten“ Einrücktermin den Freunden, so sie sich im wehrpflichtigen Alter befanden, noch sonderliche Furcht eingeflößt haben, ist zu bezweifeln. Man wusste wohl, dass die Stärke des Alten mehr im Aufspüren von Wasseradern als in der Vorausschau von Weltereignissen lag. Irlmaiers „Wasserfühligkeit“ galt als legendär. Wenn man den Berichten Glauben schenkt, muss er der einzige Brunnenbauer südlich des Weißwurstäquators gewesen sein, hätte er doch bei seinem Talent noch alle Geologen und bergforschenden Gesellschaften arbeitslos gemacht. Zur Arbeit fuhr er nur mit dem Rad, weil es ihm beim Lenken des Autos zuoft das Steuer verriss.

Manche Brunnen, die er baute, waren 80 Meter tief, und die Erlebnisse, die dieses außergewöhnliche und so naturverbundene Handwerk mit sich brachte, müssen grandios gewesen sein. »Wind, Feuer und Wasser sind da drunten«, wusste Irlmaier. Von verborgenen Tiefenwelten konnte er berichten, von geheimnisvollen Bergkräften, den unterirdischen Wasserläufen und Luftströmungen, die die sogenannten „bellenden Brunnen“ erzeugten – und wie man daraus sogar das Wetter vorhersagen konnte. Ein einfacher, unverbildeter Waldbauernbub war er gewesen, der 1894 in Scharam bei Siegsdorf Geborene; einer wie der Mühlhiasl. Ein bayerisches Urvieh, in eine Zeit, den 50ern, geprägt von der Angst vor dem atomaren Holocaust, und Zeuge eines sich zusehens resignierter gegen die Gottlosigkeit stemmenden Christentums. In welch schroffem Widerspruch stand das römisch-katholische Altbayern der 50er Jahre zum preußisch-progressiven Norden, dieser jungen Wunderrepublik mit ihren moralischen Notstandsgebieten! Zur gleichen Zeit (in der übrigens auch die berühmte „Resl von Konnersreuth“ ihre letzten Jahre verlebte) sollte ein Pater Leppich auf dem Dach seines VW-Bullis vor Zehntausenden seine berühmten Reeperbahn-Predigten halten, über Dolce Vita und den Gestank von Weihrauch. Etwas später wird ein Hans Milch (nur noch vor Hunderten) gegen das 2. Vatikanische Konzil und vor allem: gegen den Wind predigen.

Was ist mit Irlmaiers Prophezeiungen? Was bleibt für uns?

Irlmaier gehörte einer denkwürdigen Generation an, die mehr gesellschaftliche Erschütterungen und Disruptionen (– vom Ochsenfuhrwerk bis zum atomgetriebenen Automobil in nur 60 Jahren!) erlebt hat als eine einzelne Menschenseele erfassen und verarbeiten kann. Infaltion, Krieg, Flucht (Überfremdung), zuletzt Sittenverfall und explodierender Wohlstand, sind sämtlich Dinge, die Irlmaier (†1959) in seinem eigenen Leben erfahren hat. Es bedarf hier nicht einmal einer seherischen Begabung, all diese Zeichen in Verbindung mit einem letzten, endzeitlichen Krieg zu bringen. Jeder ausreichend bibelfeste Mensch erkennt und weiß, heute noch mehr als vor 70 Jahren, dass sich in Irlmaiers Visionen das Leid, die Klage und die ganze eschatologische Sehnsucht einer sterbenden Tradition und Volkskirche Gehör verschaffen wollen. Vergleichbar mit den Visionen der Fatima-Kinder und ihrer ex eventu-Prophezeiung eines zweiten Weltkriegs.

Nein, dieser letzte, dritte Krieg, der „Bankabräumer“, und was ihm folgen soll, ist keine haltbare Prophezeiung, ist keine Vorausschau von Weltereignissen, erst recht nicht für unsere Zeit, sondern allein aus der Hoffnung und Verzweifelung zu verstehen. (Und wer könnte das besser verstehen als wir?). Es ist die Sehnsucht nach der eingreifenden Strafgerechtigkeit Gottes und der „Neuen Welt“, die pia desideria des nach Gerechtigkeit Schreienden, angereichert noch mit einer guten Portion (weit weniger frommer) Bauernkriegsfantasie: »Wenn die ganze Lumperei aufkommt, steht das Volk auf mit den Soldaten. Dann wird jeder, der ein Amt hat, an der nächsten Laterne oder gleich am Fensterkreuz aufgehängt.« Das Goldene Zeitalter, das für Irlmaier nach der großen Revolution und dem endzeitlichen Krieg unmittelbar bevorstand, trägt in kruder, einfacher Form die Züge des Tausendjährigen Reichs der Offenbarung; genauso ist die bei Sehern wie Irlmaier oft wiederholte Ankündigung einer „dreitägigen Finsternis“ (Große Trübsal) ein wesentliches Element jüdisch-christlicher Endzeitvorstellung und es bedeutet einen Betrug an den Menschen, diese Ereignisse aus ihrem biblisch-eschatologischen Kontext herauszureißen und in eine säkulare Ereignisfolge zu stellen.

Wir wissen heute, dass der „Aufhalter“ Geduld hat, dass die Zeiten, da Gog und Magog entfesselt sein werden, noch nicht gekommen sind. Die „rote Gefahr“ droht hier und heute nicht aus dem Osten (von den Russen her), sondern von anderenorts. Das 21. Jahrhundert steht heute vor einer anderen Gefahr, von der Irlmaier nichts wissen konnte: Unsere Welt erwartet ein neuer, langwieriger, aber doch endzeitlicher Kalter Krieg. Wir wissen, dass alles, was in der Ukraine passiert, nur stellvertretend geschieht und bereits Teil dieses neuen Krieges ist.

Wer sich über die hochspannende und sympathische Person Alois Irlmaier – nicht informieren – aber schöngeistig unterhalten lassen will, dem sei hier das Buch von Wolfgang Johannes Bekh empfohlen – urbayerisch, versteht sich.

Eden Culture – Einblicke in das Nachchristentum Teil 2

»Ihr sollt wissen, Brüder, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren, alle durch das Meer zogen und alle auf Mose getauft wurden in der Wolke und im Meer. Gott aber hatte an den meisten von ihnen kein Gefallen; denn er ließ sie in der Wüste umkommen. Werdet nicht Götzendiener wie einige eurer Vorfahren. Stellt den Herrn nicht auf die Probe, wie es einige von ihnen taten, die dann von Schlangen getötet wurden. Das alles geschah an ihnen, damit es uns als Beispiel dient; uns zur Warnung wurde es aufgeschrieben, uns, die das Ende der Zeiten erreicht hat.« (Worte eines rückwärtsgewandten Dystopisten)

Wir schreiben das Jahr Zweitausendundzweiundzwanzig nach dem Ende der Zeiten. Es dringt ein Rettungsruf ins christliche Jammertal.

– Ein Mann, ein Buch, und die "feurige, zornige Hoffnung, dass ein anderes Leben möglich ist". Er will den ‚Dystopien’ unserer Zeit eine Utopie entgegenstellen.

– Dystopien? Wer sind nochmal diese Knecht-Ruprechte, die uns unsere Zukunft schwarz in schwarz malen? Wen meint er denn damit? Wohl diese unverbesserlichen Orwell-Leser, die sich heute so manchen Dejavu-Gedanken von 1984 einfach nicht verkneifen wollen. Oder diese unsäglichen Spintisier-Zirkel, die Bill Gates für die Posaune des Weltgerichts halten. Aber vielleicht seid ihr es auch, ihr armen Christen, die euch diese alten Schreckgeschichten einfach nicht in Ruhe lassen wollen: von den Schalen des Zorns, Plagen der Endzeit, Gräuel der Verwüstung, Tier aus dem Meer, Sohn des Verderbens, Teufel auf Stelzen, Kleine Herde, Große Trübsal, Verleumndung, Bedrängnis, Verfolgung, Martyrium, diese ganzen bösen dystopischen Depressiva, die euch ganz aufsaugen und runterziehen.

– Wer sich hier nicht angesprochen fühlt, umso besser! Dann steht ihr wenigstens der ‚Neuen Hoffnung’ nicht im Wege: Der Eden Culture®! – Ja, das ist der spirituelle Great Reset der offiziellen Kirche von Laodizea®, der MegaChurch der Zukunft!

Niemand muss sich Sorgen machen, versprochen! Es ist alles alu-frei und sogar mit „ganz oben“ abgesprochen, Herr Söder, Herr Hohn, Herr Omnes (der Mann hat allein sieben Köpfe!), und noch viele andere verdiente, konservative Köpfe aus der DU-Partei und auch viele hohe Kirchenlichter machen mit und finden es ganz rührend mit anzusehen, wie da in Krisenzeiten unbeschwerte, hoffnungsfrohe Pläneschmiede auf einem euphorischen Bein Richtung Verbundenheit, Sinn und Schönheit tanzen. – Richtig gehört, das ist ihre „mission“; ein wunderbar rundes, tiefsinniges Dreieinigkeits-Ding, mit dem man ganz bestimmt bei niemandem aneckt. Ja, und dann braucht es natürlich noch ein bisschen investment, und salesmanship und elevator pitch und flipboard briefing, you know, für den straight-up mindset, ein paar coole happenings mit lounge music, catering, prosecco, aber das Wichtigste zur Umsetzung steht natürlich in dem Buch. – Da kannst du den Judgement Day glatt vergessen. Braucht kein Mensch mehr. Erlöser, Retter, Richter, braucht es eigentlich auch nicht. Nichts, was die Menschheit nicht selber (hin)richten könnte – mit ein bisschen Psychologenlust, und Social Engineering, und natürlich ganz viel Gebet und Singen. – Eden Culture eben. Apokatastasis now!

Auch katholische Medien sind ganz begeistert. Der Prophet-Visionär kann sich eben darauf verlassen, dass die achtsamen Lotosesser und religiös erfassten Großstadt-Yuppies von heute absolut keine Ahnung vom Glauben der Kirche, der Altväter des Christentums, aller Heiligen der Geschichte haben und seinen Zucker-Essig-Wein in neuen Schläuchen als göttliche Ambrosia empfangen.

Wer stört sich denn daran, dass hier die fundamentale Erlösungs-Gleichung der christlichen Heilsgeschichte: Ankunft Christi = Wiederkunft Christi = Sieg über die Welt = Reich Gottes und mithin die gesamte christliche Eschatologie aufgelöst wird? Traditionelle Christen vielleicht? Nein, selbst im Traditionskatholizismus finden wir dasselbe Bild: Entkonkretisierung der Apokalypse, Psychologisierung zentraler Aussagen der Offenbarung („Das muss man alles geistig verstehen!“). So verschieden sie sein mögen, „Charismatiker“ und Ultramontane, „I’ll be back“ ist ihnen allen nur mehr ein Ausspruch aus „Terminator 2: Judgement Day“, aber kein Herrenwort.

Die Sehnsucht nach einem anderen Morgen, was ist denn das? – Eine welt-immanente Eschatologie. Kommunismus mit Psalmensingen.

– Aber nein, es sind doch Konservative! – Richtig, und es sind sogar christlich Konservative! Aussitzer, Abwarter, Alles-von-allen-Seiten-Betrachter, die ewigen Attentisten, staatlich gesegnete Polsterchristen, bis zur Entblödung vorurteilsfreie Jein-Sager, Fingerfood für den Leviathan, das lauwarme, im schlaffen Wesen versinkende Laodizea-Christentum, die mit der Corona-Klima-Regenbogen-Flasche gespritzte Christentumsschorle. Ein frommer Betrug in Postmoderner Verpackung.

Christen sehnen sich nicht nach einem „neuen Morgen“, noch sind sie berufen ihn zu schaffen! Der Christ sehnt sich nach dem letzten Morgen, der Wiederkunft des Herrn! Wie Paulus es tat. Bis dahin hat der Herr seinen Jüngern nur eine einzige Mission aufgetragen: Matthäus 28,19; alles andere ist menschliche Hybris.

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Referenzen

Offb 3,14-22 (An die Gemeinde von Laodizea)

https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/offb3.html#14

Kollapsologie – Einblicke in das Nachchristentum Teil 1

In antiken Zeiten glaubte der Mensch an ein jähes Weltende durch Feuer oder Flut (sog. ‚Ekpyrosis’ und ‚Kataklysmus’). Heute, 2000 Jahre später, sind wir, so scheint es, wieder an diesem Punkt angelangt, nur ist es heute eine ‚Klimakrise’, die alle Welt bewegt. Natürlich, hier gibt es einen gravierenden Unterschied: Für die Menschen der Antike war es eine uralte überlieferte Wahrheit und zugleich ein unentrinnbares Schicksal, gegen das selbst die Götter machtlos waren; für uns hingegen geht es um eine Tatsache der Wissenschaft und eine durch ebendiese Wissenschaft auf die gesamte Menschheitsfamilie übertragene eherne Pflicht und Handlungsaufforderung. – Der Mensch des 21. Jahrhunderts »hat sein Schicksal selbst in der Hand« (Angela Merkel).

Die älteren Christen unter uns möchten an dieser Stelle einwerfen, dass sie dies noch etwas anders gelernt hätten, damals, im Kindergottesdienst (Unser Schicksal in der Hand Gottes!). Aber nein, auch das Christentum ist mit der Zeit gegangen, der alte Mythos vom Logos, durch den die Welt geschaffen und in dem sie dereinst gerichtet und erneuert werden wird, ist nun selbst „runderneuert“, kurz und knapp ausgedrückt: nicht mehr Christus rettet die Welt, sondern der Mensch. [Das Christentum, ehemals unter dem Begriff „Kirche“ oder „Kirchen“ gefasst, soll im Folgenden zusammen mit den anderen Religionen als „glaubensbasierte Organisationen“ bezeichnet werden, wie es der zeitgemäßen Terminologie einer von der UN und dem Parlament der Weltreligionen geleiteten Initiative, Faith for Earth, entspricht.]

13. Juli 2022. Papst Franziskus steht unter "Klimastress". Noch zwei Wochen bis zum ökumenischen Weltschmerztag, dem Tage, an dem die Welt ihre jährliche Regenerationskapazität rechts überholt (aktuell am 28. Juli). Es sei noch nicht zu spät, so das Oberhaupt der weltgrößten (glaubensbasierten) Organisation, aber der Klimawandel sei inzwischen zu einer Notlage geworden. Christen ruft er auf, sich für den Umweltschutz stärker zu vernetzen. Und als ob sie seine Worte gehört hätten: Die Kirchen leeren sich in Franziskus’ Zeiten schneller denn je – schneller als unter all seinen Vorgängern auf dem Stuhle Petri –, und die Menschen, besonders die Jugendlichen, die diesen Trend offenbar schon viel eher erkannt und längst einen kirchen-sonntäglichen Absentismus praktiziert hatten, strömen in Scharen zu den neuen all-freitäglichen Feldgottesdiensten, die von anderen einfach ganz modern und zeitgemäß „Fridays-for-Future“ genannt werden. Die junge Generation habe eben begriffen, „dass sie eine ziemlich zerstörte Welt erben werde“, so Franziskus.

Dem Ruf der Jugendlichen folgen dann auch alle anderen Erdenklöße, sogar die alten Männer, Schwab und Gates (nein, nur böse Zungen, elende Verschwörungstheoretiker behaupten, dass es umgekehrt sei). – »Die Wichtigsten Probleme unserer Zeit: Covid-19-Pandemie und Klimawandel«, bekennt einstimmig der Evangelische Kirchentag im Jahr 2021. – »Hauptthemen sind aus meiner Sicht der Klimawandel und andere Umweltfragen«, summiert Bischof Fürst die Traktandenliste des Katholischen Kirchentags 2022 und erinnert sich noch an die Zeiten der alten Religion, als er, damals 16-jährig, auf dem Katholikentag in Stuttgart 1964 mithalf, die 40.000 Katholikentagsbibeln zu verteilen.

Zur Erklärung: Damals hatte der Christ noch vor Gott Verantwortung dafür zu tragen, das Evangelium unter den Völkern zu verkünden. Aber wie töricht und naiv! Hätte die Kirche nicht bereits damals wissen können, mit welchem Schicksals die Menschheit geschlagen war, und statt Bibeln zusammen mit der UN Ausgaben des „Faith for Earth“-Klima-Aktionsprogramms verteilen können?

Nun, diese Schuld der Versäumnis und des ewigen Aufschiebens könnte alle Verantwortlichen, und nicht nur in dieser Welt, schwer zu stehen kommen!

Heute habe jeder die Pflicht, zur Rettung des Planeten beizutragen, so Franziskus. »Wir [Anm.: die Mitglieder der glaubensbasierten Organisation] tragen eine riesige Verantwortung, und Gott wird eines Tages von uns Rechenschaft für dieses Debakel verlangen.«

Ja, noch entschiedener wendet sich der Papst schon im September 2019 gegen die Leugner des Klimawandels. Der Begriff ‚Leugner’ wurde in der Religion bisher immer zur Kennzeichnung Andersdenkender gebraucht; der Papst verwendet ihn hier ‚ausnahmsweise’ in Bezug auf die Wissenschaft. Wer würde es ihm angesichts der Schwere der vor uns liegenden Katastrophe verübeln wollen?

Der Papst will die neue Welt, er will sie jetzt, subito, und keine Egoisten, sauertöpfische Traditionalisten, Quertreiber, Querdenker, Andersdenker, Ungeimpfete, die dieses Vorhaben stören könnten. Die Verpflichtung geht auf nichts weniger als auf einen totalen planetaren Bewusstseinswandel, eine "ökologische Umkehr" menschheitsgeschichtlichen Ausmaßes:

»Während die Menschheit des post-industriellen Zeitalters vielleicht als eine der verantwortungslosesten der Geschichte in der Erinnerung bleiben wird, ist zu hoffen, dass die Menschheit vom Anfang des 21. Jahrhunderts in die Erinnerung eingehen kann, weil sie großherzig ihre schwerwiegende Verantwortung auf sich genommen hat« (Laudato Si', 165).

Diese Krisen, wie auch die des Klimas der Erde, zeigen, dass »alles miteinander verbunden ist« (Fratelli Tutti, 34) und dass »die Förderung des langfristigen Gemeinwohls unseres Planeten für eine echte ökologische Umkehr unerlässlich ist.« [Anm.: Kehrt um und glaubt an den Planeten!]

Besonders aufschlussreich sind die Worte des Papstes an die Teilnehmer der Konferenz „Resilienz von Menschen und Ökosystemen unter Klimastress“ vom 13-14 Juli 2022 in der Casina Pio IV. [Übersetzungsversuch dieses zugegeben recht szientistisch-technokratisch anmutenden Titels: Abhärtung des Planeten gegen die sieben Schalen des Zorns Gottes].

Der Papst betont darin, dass angesichts unseres zentralen Problems einer die globale Menschheitsfamilie bedrohenden Klima- und Ressourcenkrise, der christliche Glaube einen besonderen Beitrag leisten könne:

»Indem sie zusammenarbeiten, können Männer und Frauen guten Willens die menschliche Familie und Gottes Geschenk der Schöpfung vor Klimaextremen schützen und die Güter der Gerechtigkeit und des Friedens fördern.«

– Die Welt vor Klimaextremen schützen! Ist das nicht selbstherrlich!? Dürren, Seuchen, gepanzerte Heuschrecken, Übeflutungen, Wetterextreme – Ja, warum halten wir nicht einfach die Apokalypse auf? Warum retten wir nicht einfach die Welt?

– Was ist das für ein Glaube! (Und vor allem: an wen?!) – Es ist etwas. Wir können es ändern. Wir müssen es ändern. Deus vult! (oder anders: »Die Wissenschaft fleht uns an!« – Merkel).

Franziskus weiter: »Das Buch Genesis erzählt uns, dass der Herr den Menschen die Verantwortung übertrug, Verwalter seiner Schöpfungsgabe zu sein (Gen 2,15). Im Lichte dieser biblischen Lehren ist also die Sorge für unser gemeinsames Haus eine moralische Verpflichtung für alle Männer und Frauen als Kinder Gottes. In diesem Sinne muss sich jeder von uns fragen: ‚Was für eine Welt wollen wir für uns selbst und für die, die nach uns kommen?’«

– Nun beißt sich vor Freude die Offenbarung in den eigenen Schwanz! Die Welt soll auf ewig erhalten bleiben, nach dem gnädigen Willen des Menschen. – Mit Genesis 1 gegen die Apokalypse!

Die Offenbarung des Johannes, dieses Damoklesschwert des Weltgerichts und Zertrümmerer aller menschlichen Utopien, wäre also endlich aus der Welt geschafft; eine „Kollapsologie“ tritt an ihre Stelle: die durch und durch säkular-szientistische und deshalb auch technokratisch operable, kommerzialisierbare Apokalypse, die nicht in ein Weltgericht und eine Neue Welt, das Reich Gottes ausmündet, sondern deren technologische Überwindung sowohl für die Menschheit als auch für die sie knechtende Technokratie ein ewiges Weiter-so bedeutet. Diese Welt, wie wir sie kennen, soll erst „enden“, wenn in 150.000 Jahren oder 5 Mio Jahren die "thermoindustrielle Zivilisation" ganz langsam erkaltet und der letzte Eiszeitmensch seinen Atem aushauchen wird. – Man makes himselfe (Vere Gordon Childe) oder: die Geschichte bestimmen wir. (Benedetto Croce).

Um die wisschenschaftlichen Gefühle der nachchristlichen Weltretter-Gemeinschaft nicht mit noch mehr unsentimentalen Kommentaren zu beleidigen, soll den Beschluss ein Ausschnitt aus dem neuen Evangelium des Szientismus („Faith for Earth: A Call for Action“) machen – ein von Vertretern der Weltreligionen verfasster Entwurf zu einer umfassenden Weltrettung, bei der sogar die Kirche gerne ein Beitragsleister sein darf (die UN gibt Missionsauftrag vor!)

»We are in a race against time that will require political will, innovation, inclusion, tolerance, values and ethics, financing and partnerships. We are calling on everyone—countries, cities, the private sector, individuals, and faith-based organizations—to strengthen their actions to mitigate climate change, restore ecosystems, and protect the health of the planet without delay. The world has the scientific understanding, the technological capacity, and the financial means to do this. We need to trust our abilities and act accordingly.

Our challenge is not that we do not know what to do—it is how quickly we can do it. The problem is massive, and such large and complex challenges will require transformational thinking, integration, and big movements. But it will also require progress on myriad smaller and manageable scales. We need faith-based organizations to be part of the global accountability and monitoring system to achieve the sustainable development goals, and we need a common ethical system of values no matter what religion we believe.«

– We want you to panic!

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Referenzen und ergänzende Artikel:

1) Faith for Earth: A Call for Action – Parliament of the World's Religions

https://parliamentofreligions.org/climate-action/faith-for-earth-a-call-for-action/

2) Wikipedia-Artikel: Collapsology (Die Apokalypse der Szientisten)

https://en.wikipedia.org/wiki/Collapsology

Sieben Nachdenkpunkte zum Reformationsjubiläum

verfasst von Florian Dreveskracht

im Jahr 2015

V o r r e d e

Wenn man den Protestantismus kritisieren will, dann ist es nicht damit getan, 'rückblickende Gerechtigkeit' zu üben. Dies stünde der Sache Christi entgegen, genau wie eine modernistisch-pragmatische Relektüre der Geschichte, die kompromisslerische Lehren zieht zugunsten eines irgendwie christlich gemeinten Ökumenismus.

Der Phänomen Protestantismus ist ein weltweites – allerdings sein Hecknest war Deutschland, von wo aus es vor allem die germanisch-sprachigen Länder der Erde kolonialisierte. Ja, es gilt überhaupt, das deutsche Volk unbeschadet seiner konfessionellen Verteilung als ein 'protestantisches Volk' ab ovo zu begreifen und in ihm eine kulturell-anthropologische Dimension anzuerkennen, die in der Reformation nur Plastizität gewann. Aus diesem Grunde plädiere ich dafür, die Ereignisse des reformatorischen Nervenfiebers als injuria temporum einfach hinzunehmen und das Urteil darüber Gott, dem Lenker der Schlachten zu überlassen. Und wie man auch die zivilisatorischen Gebrechen der Völker nicht heilen kann, so dürfen wir für ihre Christenmenschen hoffen, dass sich Gott ihrer in Sympathie wie eines gleichsam Geistesgestörten und im Finstern Wandelnden erbarmt. (Maximus Confessor). Die Feierlichkeiten zum Lutherjahr sind, obwohl sie für den Protestantismus einen demonstrativen Charakter haben, meines unmaßgeblichen Dafürhaltens nach von katholischer Seite zu begünstigen, und, im Falle von untoward events, ist einer Verwickelung mit Ehre auszuweichen.

Alsdann, den Blick nicht vor einer 500-jährigen Geschichte verschließend, ist mein ökumenisches Credo, dass die „protestantische Religion“ sola gratia als „deutsche Weise“ des katholischen Glaubens vor Gott bestehen möge – gemäß der wohl unerschütterlichen Losung: Gottes Wort und Luther's Lehr', die vergehen nimmermehr.

§1 Und das Wort ward Fleisch. Mutig weitergedacht: Gott will, nachdem er sich selbst in diesem säkularen Ereignis der Welt eingestiftet hat, eine Kirche, die ihr Inneres äußert als ein sinnlich-gegenwärtiges Ganzes, die als fortlebender Christus das erhobenes Zeichen für alle Menschen guten Willens ist (vgl. Joh 17,23). Das Wesen des protestantischen Denkens ist ein Eskapismus, der darin besteht, dass man die Geschichte unserer gemeinsamen großen Kirche mit Gott für eine Lüge erklärt. Bemerkenswert dabei, wie es deutscher Schulphilosophie und lutherischer Orthodoxie gelang, diesen harten Brocken zu schlucken und durch Zwangsgrübeleien einer geschmeidigen Auslegung zuzuführen: Norma normans - norma normata = norma normans non normata und Sola sacra scriptura iudex, norma et regula (gleichzeitig beeindruckende Beispiele von Begriffsgespensterei aus der Magdeburger Kanzlei). Sicherlich liegt in dieser juristischen Sprache etwas von Dignität (vgl. die Roben der evangelischen Geistlichen), aber leider keine Demut vor den Tatsachen: Schrift ist geronnene Tradition und keine Kuh kann es auslecken. Jedes Kind, wenn es nicht schon die Schere im Kopf hat, zählt sich an den Fingern ab: Schrift fällt unter Tradition und papierener Papst wickelt keinen Felsen ein! Blicken wir zurück in die Antike – ut erat res: Alle fünf Patriarchate haben sich damals um die Petrussukzession gerissen. Das von Jerusalem, von Anitiochien, Alexandrien, Konstantinopel und Rom. Doch das Recht Gottes ging still wie die Natur seinen Entfaltungsgang. – Und plötzlich, nach tausend Jahren, findet jeder ein Haar im frommen Linsengericht? Das ist die Flucht vor dem Factum brutum historicum. Wie die Regula fidei der Kirchenväter das Scharnier zwischen der Schriftwerdung seit Abraham und dem Kanon des Neuen Testaments ist, so steht das ewige Rom für die Beständigkeit zwischen Golgotha und der Alten Kirche. Die aufgrund der politischen und kulturellen Herrschaft Roms sich sozusagen organisch entwickelnde Vorrangstellung der römischen Gemeinde auf dem Ager Romanus ist nicht die Widerlegung, sondern der Beleg ihres Primats. Die gegenteilige Ansicht, wonach nur die triumphierende Errichtung eines Musterpatriarchats zwischen den Zähnen einer weltlichen Ordnung als hinreichender Beleg für die Übernatürlichkeit einer hierarchischen Sonderstellung gelten kann, ist nicht anders zu erklären, als dass, da noch heute die verbreitetste Vorstellung Gottes die eines intervenierenden Olympiers und Agens innerhalb der Welt, nicht aber die des Schöpfers der Welt ist, man immer „das Zeichen vom Himmel“ will, die drastische Machttat Gottes anstatt Einsicht in Fügung und historische Notwendigkeit.

Nichtsdestoweniger ist die Unerlässlichkeit des Erinnerns für die Kirche zu betonen, das sowohl eine rein persönliche, eine liturgische, und besonder dort, wo wie im Buch Deuteronomium unermüdlich um des Verbleibens im Glauben willen an ein waches Gedächtnis und ein erinnerndes Herz für die Taten Gottes und der Väter appelliert wird ('denk daran!', 'vergiss nicht!'), auch eine biblische Wirklichkeit ist (vgl. Ps 78,3-4, Sir 44,1). Sehen wir uns nun um: Man verpönt Reliquien und Blutzeugnis der Kirche, die Weisungen der Kirchenlehrer, die Heiligen, und betreibt selber die Ikonisierung biblischer Urgemeinden, die in summa viel weniger vom kanonischen Ganzen der Offenbarung wussten als wir, ja die nur vor den Bedeutungssamen standen, die der Herr in seinen Gleichnissen säte und die erst in der Epoche der Kirchenväter in Keimstimmung geraten sollten. Selbst und gerade der Zwölferkreis der Jünger, dem wie niemandem zuvor seit Mose vom göttlichen Geheimnis geschenkt war, klebt noch ganz am Konkretismus der Worte fest (Mt 16,11), tut sich hervor mit theologischen Sonderleistungen wie dem Streit um die 'Ministerämter' im Reich Gottes. Man hat der Bibel schnell eine Wachsnase gedreht. Hopplahopp ein paar Prothesen aus Ausreden und Wünschen dazu gemacht und im Zauber der Technologie Buchdrucks das neue Bibelbuch zum Urdogma erklärt! Die Wachspuppe wird heute 'Urchristentum' genannt und fürderhin tapfer beatmet. Und schließlich, wenn man nicht an Totenerweckung glaubt, gefällt man sich als Historiker-Leichenbeschauer des Literaturdenkmals einer längst verhauchten Kultur. 0, Penelopearbeit! Alles wird akzeptiert und alles geht, nur nicht, dass der Geist durch seine Kirche weht. Sola scriptura – die biblisch-bekenntnismäßige Verzweiflung: »Kriech ins Wort, wie ein Hase in die Steinritze.« (Luther) Man möchte fast meinen, dass das Wort doch nicht Fleisch geworden, sondern dass Gott Wort geworden sei!

[1] vgl. die wunderbare Einsicht in Sir 18,1a: »Der Herr, der in Ewigkeit lebt, hat alles insgesamt erschaffen.« Auf die katastrophalen Auswirkungen der Concursus-Dei-Lehre kann hier nicht näher eingegangen werden.

§2 Luther – der halbblinde Gaul oder: Ecclesiastes vs. Ecclesiasticus. Ein den 'Landplagen' (Ex 7ff.) vorausgeschickter Gottesspruch »Ich aber will das Herz des Pharao verhärten« veranlasste Luther zu dem Glauben, dass Gott nicht nur in seiner Zeitüberhobenheit 'vorhersieht', sondern auch Willensbildung sowie exekutive Funktionen des Menschen regiert. »Durch diesen Donnerschlag wird der freie Wille zu Boden gestreckt und ganz und gar zermalmt« (Luther an Erasmus) Hätte Luther nicht sein Auge verschlossen vor einer anderen biblischen Königstragödie, so hätte er erkannt, dass Gott darartige Radikalschläge nicht liebt: Wenn auf Nebukadnezar das Menetekel lastet: »Fällt den Baum und vernichtet ihn! Aber lasst ihm in der Erde, im Gras des Feldes, den Wurzelstock, mit einer Fessel aus Eisen und Bronze.« (Dan 4,20), dann nicht ohne den Appell an seine freie Wahl: »Darum, o König, nimm meinen Rat an: Lösch deine Sünden aus durch rechtes Tun.« (Dan 4,24). Weil dieser sich lieber auf der Dachterrasse in seiner Machtherrlichkeit sonnt, erfüllt sich der Spruch an ihm und er musste sich von Gras ernähren wie die Ochsen, seine Nägel wie Vogelkrallen, bis 'sieben Zeiten' über ihn hingegangen sind. Wie wird nun Ex 7,3 aufgelöst? Durch den 'Matthäus-Effekt' (s. Mt 25,29): Nur weil sich der Pharao schon (frei) für ein Leben in Dunkelheit entschieden hatte, schlug Gott ihn mit Herzensblindheit. Der Herr verhärtete das Herz des Pharao, der ihn nicht erkannte, obwohl seine Werke unter dem Himmel offenbar waren. (Sir 16,15). Es ist ein großer Betrug am Menschen, den Luther und Calvin hier betrieben haben, eine Lüge vor Gott und der Natur: Er hat am Anfang den Menschen erschaffen und ihn der Macht der eigenen Entscheidung überlassen. Wenn du willst, kannst du das Gebot halten. (Sir 15,14.15b). Seid nicht wie Rosse und Maultiere, die ohne Verstand sind, denen man Zaum und Gebiss anlegen muss! (Ps 32,9). Die Vorstellung einer tierhaft-unschuldigen Menschenseele (die aus Angst vor einem strafenden Gott enstehen mag) ist Gift für die Gottesliebe, die nur in Freiheit bestehen kann. Bin ich vor Gott gerecht, dann aufgrund meiner Liebe zu Gott (Gott liebt mich und ich liebe Gott; vgl. 1 Joh 4,16). Diese hätte ich aber nicht, würde ich mich nicht durch Glauben und tätige Nächstenliebe auszeichnen ('Täter des Wortes'; vgl. Jak 1,22). Das ist der Primat der Liebe. Fehlt er, wird die paulinische Rechtfertigungslehre nicht mehr verstanden. Luther spricht denn auch folgerichtig statt von einem Prinzip der Liebe (sola caritas) von einem des Glaubens als des alleredelsten Werks. Da dieses aber nicht mein, sondern Gottes Gnadenwerk an mir ist, lässt er alle Werke „in diesem Werke gehen“ um so den Menschen – sola fide – vollends der Möglichkeit zu entheben, sich frei für die gute Tat zu entscheiden.[2] Einen Stallgefährten findet Luther hierbei in Kohelet , dem 'Prediger Salomo'. »Gehe hin fröhlich, iss und trink und wisse, dass deine Werke Gott wohlgefallen.«[3] (Koh 9,7ff). »Ist das wahr, so muss alles gut sein, was sie tun, oder bald vergeben sein, was sie Übels tun. Siehe da aber, warum ich den Glauben so hoch hebe, alle Werke hinein ziehe« („Sermon von den guten Werken“). Damit die Trauben des freien Willens zu hoch hängen und der Mensch als ein schlaffer Mehlsack zu Boden fällt? Dass Kohelet ein verkappter Epikureer ist und allein eine Apostille nebst moralischem Masshalteappell des Redaktors (Koh 12,9-14) seine Kanonizität zu retten schienen, stört Luther nicht. »Unser Herr Gott pflegt die Epikurer und Mastsäue zu mästen in diesem Leben zur Schlachtbank«, soll er dafür zwischen Birnen und Käse gesagt haben. (Luther's Tischreden). War es kein freier Wille, dann hat Luther doch zumindest eigenen Willen bewiesen, als er das Buch der Weisheit, Jesus Sirach, sowie Hebräer- und Jakobusbrief beherzt zu den Apokryphen oder bis an das Ende der Bibel verschob: weil sie den Kult betonten oder dem Befolgen „römischer Menschengesetze“ Vorschub leisteten; mehr aber noch deshalb, weil Luther ein anderer Menschenentwurf vorschwebte: Was die einzelnen Menschen angeht, dachte ich mir, dass Gott sie herausgegriffen hat und dass sie selbst (daraus) erkennen müssen, dass sie eigentlich Tiere sind. (Koh 3,18). Nach dem Urteil von Erik Voegelin war Luther »grundsätzlich mit nichts anderem beschäftigt als mit der Verbreitung seiner eigentümlichen, persönlichen Erfahrung, die er der gesamten Menschheit als Existenzordnung auferlegen wollte.« »Gott hat mich hieran geführt wie einen Gaul, dem die Augen geblendet sind, dass er nicht sehe, sonst wär' ich nimmer so kühn gewesen, dass ich den Papst und schier alle Menschen angegriffen hätte.« (Luther)

[2] Es zeigt sich, dass die Leugnung der Willensfreiheit untrennbar mit der lutherischen Theologie verbunden ist. »Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche aus dem Glauben kommt und zum Glauben führt.« (Röm 1,17). Luther verfängt sich in diesem Satz, weil er blind für seine zweite Aussage ist.

[3] In der Einheitsübersetzung lautet Koh 9,7: Also: Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein; denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel.

§3 Freigläubige vs. Zwangsgläubige. »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.« Wohl kaum ein Satz der Schrift wurde und wird häufiger missbraucht als dieser. Es lohnt sich also, den Kontext zu lesen: »Wir [Hoher Rat] haben euch streng verboten, in diesem [Jesu] Namen zu lehren.« Petrus und die Apostel antworteten: »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.« (Apg 5,28a.29). – Warum dürfen die Apostel das sagen? Aus dem einzigen Grund, dass ein ausdrückliches Herrenwort an sie dem Wort des Rates entgegensteht: »Lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe!« (Mt 28,20). Im Allgemeinen bedeuten sowohl Verleugnung der Altvorderen (Jer 33) als auch die Missachtung religiöser Satzungen Ungehorsam gegen Gott: Darauf wandte sich Jesus an das Volk und an seine Jünger und sagte: »Die Schriftgelehrten und die Pharisäer haben sich auf den Stuhl des Mose IPetrill gesetzt. Tut und befolgt also alles, was sie euch sagen.« (Mt 23,1-3a). Reformationsbotschafter, Kladderadatschgelehrte und Beschwörer einer libertären Gegenwehr angesichts eines mit Skorpionen und Dogmen um sich werfenden Papstes oder der drohenden Gefahr der „Aussaugung durch Rom“ konnten sich niemals und werden sich auch in Zukunft niemals auf Christus stützen können. Die Gnade kommt von Gott über Rom bis Herrnhut aber nicht vom Herrn hinab durch meinen Hut (Num 11,25-26): eine Tatsache, die ich mit den Zähnen festhalte, wie die Tatsache, dass Gott das natürliche Gesetz in die Hand der Staatsmacht legt (Röm 13,1). Wenn man aber natürliche Verhältnisse, weil sie angeblich nicht sichtbar aus dem Glauben herausflössen, vom 'Du sollst' zum 'Du magst' und zum 'Du kannst' verschiebt, und aus dem Bannkreis der göttlichen Ordnung beliebig in den Bereich der Adiaphora und der menschlichen Nützlichkeitsrechnung, dann setzt man den Einzelnen und insbesondere die Träger der Gewalt auf die Hörner eines gewaltigen Irrtums, der sie irgendwann aufspießen muss. – Freiheit ist von Gott, Freiheiten vom Teufel. Wer in populistischer, vulgarisierender Weise die These ins Volk wirft, dass „mit dem Apostel Paulus (solus Paulus?) alles erlaubt, aber deshalb noch lange nicht alles förderlich“ sei, der missbraucht die Worte des Apostels, der in seiner deliberativen Rede nur die heidnische Parole der korinther Gemeinde als rhetorische Figur zwischen concessio und permissio aufgegriffen hatte. Die Freiheit eines Christenmenschen nach Lutherart hat in einen dialektischen Starrkrampf geführt, in dessen Fortdauer sie sich auswuchs zu einem aus 'Evangelischer Freiheit' und 'Teutscher Libertät' bestehenden Januskopf, der: das ist die D e u t s c h e R e l i g i o n.

§4 Summus Episcopus. Im Fremdwörterbuch liest man unter diesem Begiff : '1. der Papst als oberster Bischof; 2. (Gesch.) Der Landesherr als Oberhaupt einer evangelischen Landeskirche in Deutschland (bis 1918).' Kann man noch lapidarer den Zweck der Reformation erklären, sowie den N i e d e r g a n g d e r R e l i g i o n u n t e r d i e S t a a t s g e w a l t ?

§5 Der Geist, der stets verneint. Es wird sozialpsychologisch. »In Deutschland ist der Widerspruchsgeist bis zu einem unbegreiflichen Grad entwickelt«, konstatierte einst Bismarck. Was dieser auf die deutsche Politik und die Regierungsarbeit bezog, lässt sich nun umstandslos auf die autoritative Struktur der römischen Kiche umlegen. Es liegt förmlich auf der Hand, dass es dieser unglaubliche, zermalmende öffentliche Geist ist, der sich zu bestimmten Zeiten in Deutschland miasmatisch ausbreitet, der so heftige antikatholische Reflexe und Affekte entwickeln kann, wie sie sich bereits in den Gravamina teutonicae nationis gegen den pästlichen Hof andeuteten, und der schließlich zu Verwerfungen wie der Reformation führen konnte. »Er schelte mich, wie er will, er schelte mich nur nicht einen treuen frommen Mönch; denn der will ich nicht seyn, noch heissen; so wenig als ich wolte ein frommer Strauchdieb, ein keuscher Ehebrecher oder ein heiliger Teufel seyn und heissen«, schlägt Luther mit dem Gischt des Zornes gegen Herzog Georg den Bärtigen, einen Reformationsgegner. Nichts wäre nun naheliegender, als zu vermuten, dass dieser Furor Teutonicus, freilich in abgemilderter, feinerer Form, sich ebenfalls in der Reformationstheologie, einer Theologia Teutsch, als negative Freiheit niederschlug. Und tatsächlich: wir finden den stärksten Beleg für diese Annahme darin, dass die Liebe in ihr keinen Platz als Grundprinzip finden konnte. Selbst die vier Soli der Reformation sind, genau besehen, Anti – nämlich gegen die katholische Weite. Man könnte dieses negierende[4] Grundmotiv der Reformation nun durch die Geschichte verfolgen und würde etwa bei den Puritanern feststellen, dass ihr selbstquälerischer Brutalismus eine Negativfolie im Römischen Ritus findet, oder dass sich die Sedisvakantisten in ihrem leidenschaftlichen Anklageritus gegen Rom auf einen weltlich allzuweltlichen Antimodernismus zu reduzieren neigen. Es ist ein eingebildetes Bewusstsein, welches sich einer Urteilskraft und Erkenntnisfähigkeit über alle katholische Gelehrsamkeit hinaus erfreut. Dinge werden hinterfragt bis an die schwarze Pechhütte heran, obwohl man garnicht vorhat, irgendwann zur Verständigung zu gelangen. Ja in Deutschland gilt es schon fast als ehrenrührig, mit der römischen Kirche einer Meinung zu sein, weshalb daselbst schon die frühklugen Firmlinge ihre süßen Frageschnittchen für den Bischof zuzubereiten wissen. Fast schon freudige Erregtheit überall, auch von Menschen die sich Christen nennen, und breite Empörungsallianzen angesichts der Verderbtheit und Prunksucht der Päpste heutiger und vergangener Zeiten (s. Exploitation-Kino, schwarze Legenden, Sensationsromane und viel acht Jahr' geschultes Volk, das dran glaubt). Man fragt sich, ob der Ankläger der Brüder einstmalig überhaupt zu Wort kommen wird, wenn diese Menschen beim Jüngsten Gericht erscheinen. Klar ist, dass viele glauben, allein als empörte Akatholiken und Kraft eines persönlichen 'Glaubensbekenntnisses ex negativo' vor Gott gerecht zu sein. So zu denken, ist aber unchristlich; denn Petrus, der Christusverleugner, wurde von ebendemselben zum Hirten über seine Schafe ernannt. Es ist auch nicht jüdisch, denn der Gott des auserwählten Volkes hat seinen Sohn in der Verheissung zu 'Wurzel und Stamm' Davids gemacht (s. Offb 22,16), und das trotz Davids Hinterlist und trotz Salomons Prachtliebe und Maßlosigkeit. Er ist der Gott, der selbst großherzig ist (s. Kainsmal) und der den Menschen vermahnt, sich nicht als Splitterrichter aufzuspielen: Dein Herz ereifere sich nicht wegen der Sünder, sondern eifere stets nach Gottesfurcht! (Spr 23,17). Und zuletzt ist es streng gesehen auch nicht lutherisch, so zu denken: Esto peccator et pecca fortiter – Sei ein Sünder und sündige kräftig, aber glaube noch stärker und freue dich in Christus, welcher der Sieger ist über die Sünde, den Tod und die Welt! (Luther an Melanchthon)

[4] In den Niederlanden kennt man sogar doppelte und dreifache Verneinungen, und jede erneute Verneinung war den Protestierenden gleich eine neue Kirche wert. So fanden die Protestanten ihre Empörer in den Remonstranten und diese wiederum in den Contraremonstranten. Man wird unweigerlich an ein Klageverfahren mit Replik, Duplik, Triplik usw. erinnert.

§6 Die Ehe, ein weltlich Ding. Die Sexualität – die primitivste Form religiöser Verursachung – soll nicht geheiligt sein? Nein, Nein, Nein! – Nein, Nein, Nein! – Nein, Sakrament und Amen. Es ist diese schlimmste Irrlehre, die Luther zum größten Häresiarchen aller Zeiten machen könnte. Wir sollen unser Leben vor Gott und von Gott her leben und dazu gehört wesentlich der Eros als eine Dimension unserer Liebe und als Teil unserer christlichen Persönlichkeit. Tragen wir unsere Sexualität vor den, der sie, der uns gemacht hat! Die von der Liebe entfremdete Theologie (sola fide) entfremdet von Gott, bringt den Menschen um einen höheren Begriff von der Güte Gottes. Sie hat erreicht, was allen Flagellanten und Sexualneurasthenikern nicht gelang: dass den Christen die verstohlene Weise des alten Adam immer wieder in den Nacken schlägt und sie förmlich zwiegespalten in fleischheimlicher Wollust wie Eva hinterm Feigenblatt leben. Das Triebschicksal verschlägt den derangierten Menschen so irgendwo zwischen den Stromschnellen von Szylla und Charybdis, auf den Inseln der Skopzen oder der Adamiten. Unter den Erstgenannten finden sich alle von Sexualteufeln Verfolgte, grahambrotkauende Puritaner aber auch Vertreter der für das verzeichnete Bild der katholischen Ehe mitverantwortlichen Formation des Bürgertums, die häufig in Frust-Atheismus enden. Zu der andere Seite zählen alle Opfer von zu Tode getroffenen Kulturen, in denen die seelischen Dämme Scham, Ekel und Moral gebrochen sind: die Ehe wird zum Wegwurf erklärt und in die 'Saisonehe' aufgelöst.

[5] Luther, der im Alter von 42 Jahren nach eigener Beteuerung keusch in die Ehe ging (und daran besteht auch kein Zweifel), lebte in der Folge ruhiger und psychisch ausgeglichener. Auch scheute er sich nie, öffentlich sexuelle Fragen zu thematisieren.

§7 Der Baum liegt wie er fällt. Laßt uns Kirchenmäusschen spielen bei einem Gespräch zwischen einem Bilderstürmer der Reformation – nennen wir ihn Geiserich (G) – und einem elfjährigen Messdiener – sagen wir, Aloisius (A):

G: »Mein Kind, Heiligenverehrung ist sinnlos, die Seelen schlafen bis zur Auferweckung am jüngsten Tag.« – A: »Aber der Leib Christi hat doch keine eingeschlafenen Glieder! Versteh' doch, wir sind getauft zu einem Leib. Denk an Mose und Elia auf dem Verklärungsberg. Meine Seele ist nicht von dieser Welt, darum kann ich mich frei für Gott und das Gute entscheiden. Die Heiligen jauchzen ob ihrer Herrlichkeit, sie freuen sich an der Stätte ihrer Ruhe, und Gottes Lobpreis hallt aus ihrem Munde.« – G: »Was soll die Narrenbeschwörung?« – A: »Heiligsprechung, bedeutet nichts weiter als die Gewissheit für uns alle, dass dieser Mensch im Himmel ist und es ist so schön, dass mir all die Freunde, mit denen ich meine Ewigkeit verbringen will, schon hier auf Erden helfen können. Denkst du denn nicht an den Himmel, welche Freude es sein wird?« – G: »Verbrannte Gedanken! – Da! Götzenfiguren! Mit Ölfarben angemalt! Ölgötzen! Ins Feuer damit!« – A: »Aber Heilige sind doch keine Ölbrüder, die nur oben schwimmen wollen.« – G: »Solus Christus! Herr, rette unsere Seelen (wenn wir welche haben)!« – A: »Du meinst, wenn wir Schiffbruch erleiden?« – G: »Dann halt dich an Gott!« – A: »Ich halte mich lieber am Mast. Oder vielleicht doch am Hl. Christophorus...« – G: »S o l i D e o G lo r i a ! Da haben wir's! Die Heiligen nehmen Christus die Ehre! Nur direkt zu Gott!« – A: »Christus verherrlicht sich selbst in seinen Gliedern, denn das Werk lobt den Meister (Sir 9,24) und wunderbar ist Gott in seinen Heiligen (Ps 68,36). Heiligenverehrung ist Christusverehrung! Sie künden den Ruhm seiner Herrschaft und bringen seine Vollkommenheiten zur Sprache. Heiligenverehrung hat die Apotheose, den Diven- und Heroenkult der Heiden zurückgeführt auf die gesunde Form (Interpretatio Christiana). Die Heiligen sind immer auf Christus hin gerichtet (s. Desis) wie die Glieder auf das Haupt, sie sind Wegweiser zu Gott (s. Hodegetria). Erkennet doch, daß der Herr seine Heiligen wunderlich führet!« – G: »Woher hast du diese Begriffe?« – A: »Die Gottesmutter hat sie mir zugeflüstert.« – G: »Ja hat denn Gott eine Mutter?? Eher glaube ich an des Teufels Großmutter. Ich komme sehr gut ohne deine Mutter aus.« – A: »Armes Waisenkind!« – G: »Gutes Kind, wenn du nicht irgendwann wirst wie die Erwachsenen hier und wie dein großer Bruder im Himmel!« – A: »Dass du nichts mit Marienverehrung anfangen kannst, ist kein Wunder. Maria ist die Beschützerin vor Häresien.« – G: »Dass dich der Pieshund! Traut nicht auf Seelenmessen, die man den Verstorb'nen hält; Tote werden bald vergessen, und der Baum liegt, wie er fällt.« (Wertheimer Gesangbuch, 1757, Nr. 725).